Marx und Engels: Die Befreiung der Menschheit durch das Proletariat

Marx und Engels: Die Befreiung der Menschheit durch das Proletariat
Marx und Engels: Die Befreiung der Menschheit durch das Proletariat
 
Ihre größte Bedeutung erzielten die Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels auf dem Gebiet der Politik. In ihrem 1848 gemeinsam im Auftrag des »Bundes der Kommunisten« in London verfassten »Kommunistischen Manifest« vertreten sie die Auffassung, dass alle bisherige Geschichte der Menschen eine Geschichte des Kampfes von Klassen sei. In der Gegenwart der kapitalistischen Gesellschaft stehen sich zwei Klassen feindlich gegenüber: die Bourgeoisie, die die Produktionsmittel besitzt und von der Ausbeutung der Arbeiter lebt, und das Proletariat, das darauf angewiesen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen, um über den Arbeitslohn sein Leben zu erhalten. Marx und Engels gingen davon aus, dass die Arbeiterschaft im Klassenkampf immer mehr verarmt. Durch den Einsatz und die Weiterentwicklung der großen Industriebetriebe geraten dabei aber nicht nur die Proletarier untereinander in eine immer härtere Konkurrenz um die Arbeitsplätze; auch die Bourgeoisie verliert mehr und mehr die ökonomische Grundlage ihrer eigenen Existenz. Dieser Konflikt verschärft sich zunehmend, bis das Proletariat dazu übergeht, die Konkurrenz unter den Arbeitern durch die Gründung von Arbeiterassoziationen zu beenden und - durch eine revolutionäre Tat - das private Eigentum an Produktionsmitteln abzuschaffen, die Klasse der Bourgeoisie aufzulösen und auf diesem Wege allmählich die Menschheit vom Diktat des Klassenkampfs ein für alle Mal zu befreien: »An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft«, so heißt es im »Kommunistischen Manifest«, »mit ihren Klassen und Klassen-Gegensätzen tritt eine Association, worin die freie Entwicklung eines Jeden, die Bedingung für die freie Entwicklung Aller ist.«
 
Wie diese in die Zukunft weisende Perspektive deutlich werden lässt, legten Marx und Engels in ihrem Manifest nicht nur eine Theorie des politischen und ökonomischen Klassenkampfs vor. Ihre Überlegungen sind eingebettet in eine auch philosophisch begründete Theorie der Geschichte und des Menschen, den »historischen Materialismus«. Damit knüpften sie unmittelbar an die Geschichtsphilosophien der Aufklärung und des deutschen Idealismus an, insbesondere die Philosophie Hegels. Mit seiner Kritik an den »linken« Hegelkritikern wie David Friedrich Strauß, Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach legte vor allem Marx die philosophischen Grundlagen für das Konzept eines »historischen Materialismus«. Dieser beanspruchte nicht nur, die Einsichten der traditionellen materialistischen Lehren, wie sie für Marx vornehmlich Feuerbach vertrat, einzulösen, sondern darüber hinaus auch die Hegelsche »Philosophie des Geistes« durch eine materialistisch gedeutete Theorie der Geschichte aufzuheben. Ansätze hierfür sah Marx schon bei den französischen Materialisten des 18. Jahrhunderts gegeben, etwa bei Claude Adrien Helvétius, der die sensualistische Erkenntnistheorie des englischen Philosophen John Locke zum Ausgangspunkt für eine Theorie gesellschaftlichen Handelns gemacht hatte. Das Spezifische des von Marx und Engels vertretenen »Materialismus« begegnet in dem von ihnen geprägten Begriff der »historischen Praxis«. Dieser Begriff knüpft an die Philosophie Kants an, der in seiner »Kritik der reinen Vernunft« gelehrt hatte, dass alle Objekte der menschlichen Erkenntnis durch den Verstand und seine Erkenntnisformen (die »Kategorien«) hervorgebracht werden.
 
Marx gab dieser erkenntnistheoretischen Einsicht Kants jedoch eine gesellschaftliche Wendung: Nicht der menschliche Verstand bringt die Objekte der Erkenntnis und die Gegenstände in der Natur hervor; sollen diese Gegenstände für den Menschen eine Bedeutung haben, so gehen sie aus einem mühsamen Prozess gesellschaftlich vermittelter Arbeit hervor. Arbeit erscheint dabei aber stets unter einem doppelten Aspekt: sie ist zum einen Ausdruck der gesellschaftlichen Lebensbedingungen von Menschen, die durch den Stand der Entwicklung der Produktivkräfte sowie der Produktions- und Eigentumsverhältnisse bestimmt sind; sie ist zum anderen auch ein unmittelbarer Austausch zwischen den Menschen und der sie umgebenden Natur. Für diesen zweiten Aspekt seines Arbeitsbegriffs gebrauchte Marx die Metapher eines »Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur«.
 
Diese philosophisch begründete Position des »historischen Materialismus« bildete den Hintergrund für die späteren Schriften von Marx und Engels, die sich ab der Mitte der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts immer stärker auf die Kritik der bürgerlichen Ökonomietheorie konzentrieren. Von ihrer philosophischen Grundeinstellung her motiviert ist beispielsweise ihre Kritik gegenüber den Ökonomen David Ricardo und Adam Smith. Während diese die Ökonomie der kapitalistisch bestimmten Marktwirtschaft als eine »naturgegebene Ordnung« interpretieren und daher nicht über sie hinausdenken konnten, ging es Marx und Engels darum, den Kapitalismus methodisch als ein geschichtlich entstandenes System in seinen inneren Widersprüchen so darzustellen, dass bereits die Ansätze zur Überwindung dieses Systems deutlich werden. Aus der »inneren Logik« des kapitalistischen Systems der Warenproduktion soll also zugleich dessen interner Widerspruch sichtbar gemacht werden. Ihre Methode, die sie der Hegelschen Dialektik entnahmen, nannten sie eine »innere Einheit von Darstellung und Kritik«. So dient beispielsweise auch die Wertlehre im ersten Band des von Marx 1867 vorgelegten Hauptwerks »Das Kapital« dem Nachweis, wie sich in der Ware und ihrem Wert auf dem Markt das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen vergegenständlicht und gegenüber den beteiligten Akteuren verselbstständigt. Aus diesem Prozess versuchten Marx und Engels die Selbstständigkeit der Wirtschaftsabläufe gegenüber dem gesellschaftlichen Handeln der Menschen verstehbar zu machen und zugleich zu kritisieren: nämlich als Ausdruck der Tatsache, dass im System der kapitalistischen Warenproduktion nur ein anonymer Markt und nicht ein gemeinschaftlicher Plan der Menschen die Regie führt. Nach dem Tode von Marx 1883 gab Engels die beiden Folgebände des Marxschen »Kapital« (1885 und 1894) heraus. Alle darin ausgeführten Theorien von Geld, Mehrwert und Profit haben die Aufgabe, die ökonomischen Voraussetzungen für die geschichtsphilosophische These vom notwendigen Zusammenbruchs des Systems des Kapitalismus zu klären.
 
Die von Marx und Engels vorgelegte philosophisch motivierte Rekonstruktion und Kritik der ökonomischen Theorien ihrer Zeit haben zu heftigen Kontroversen geführt: auf dem Gebiet der Philosophie und Gesellschaftstheorie ebenso wie in Debatten der Wirtschaftswissenschaften und der Politik. Diese Auseinandersetzungen sind auch heute noch nicht zum Abschluss gekommen. Im Zuge der ersten Auseinandersetzungen mit den Lehren Marx' und Engels' durch die sozialistische Bewegung bildete sich allmählich auch der Begriff des »Marxismus« aus; nachweisbar ist er erst ab 1872, und bezeichnet zunächst nur eine Gruppe innerhalb der sozialistischen Arbeiterbewegung, die den anarchistischen Auffassungen von Michail Bakunin widerstritt. Von Marx selbst überlieferte Engels in einem Brief vom 2./3. November 1882 an Eduard Bernstein den Ausspruch, dass dieser es ablehne, als »Marxist« bezeichnet zu werden. Durch die schulmäßige Ausarbeitung der Marxschen Theorie insbesondere in den Schriften des späteren Engels (zum Beispiel in seiner Schrift »Anti-Dühring« von 1878) entstand am Ende des 19. Jahrhunderts die parteioffizielle Lehre des »Marxismus«, die als Weltanschauung im Kampf der sozialistischen Bewegung um die politische Macht immer mehr eine ideologische Funktion annahm.
 
Prof. Dr. Dr. Matthias Lutz-Bachmann
 
 
Brentel, Helmut: Soziale Form und ökonomische Kategorie. Zur Aktualität der Marxschen Kritik. Frankfurt am Main 1988.
 Flechtheim, Ossip K. und Lohmann, Hans-Martin: Marx zur Einführung. Hamburg 21991.
 
Geschichte der Philosophie, herausgegeben von Wolfgang Röd. Band 10: Die Philosophie der Neuzeit. Teil 4. Positivismus, Sozialismus und Spiritualismus im 19. Jahrhundert. München 1984—89.
 Röd, Wolfgang: Der Weg der Philosophie von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Band 2: 17. bis 20. Jahrhundert. München 1996.
 Schnädelbach, Herbert: Philosophie in Deutschland 1831—1933. Frankfurt am Main 51994.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Engels — I Ẹngels   [nach F. Engels], Name von geographischen Objekten:    1) Ẹngels, bis 1931 Pokrọwsk, Pokrọvsk, Stadt im Gebiet Saratow, Russland, am nördlichen Ostufer des Wolgograder Stausees der Wolga, durch 2 790 m lange Brücke mit der… …   Universal-Lexikon

  • Marx — I Mạrx,   russisch Mạrks, 1765 1928 deutsch Katharinenstadt, russisch Jekaterinenschtạdt, Ekaterinenštạdt [jekaterinenʃ ], 1928 42 deutsch Mạrxstadt, russisch Marksschtạdt, Marksštadt [ ʃtat], Stadt im Gebiet Saratow, Russland, am linken… …   Universal-Lexikon

  • Friedrich Engels — Friedrich Engels, Fotograf George Lester ca. 1868[1] …   Deutsch Wikipedia

  • Freiheitlicher Sozialismus — Der Sozialismus ist eine der im 19. Jahrhundert entstandenen drei großen politischen Ideologien neben dem Liberalismus und Konservatismus. Der Begriff war nie eindeutig definiert, und umfasst von Parlamentarismus und Demokratie akzeptierenden… …   Deutsch Wikipedia

  • Revolutionärer Sozialismus — Der Sozialismus ist eine der im 19. Jahrhundert entstandenen drei großen politischen Ideologien neben dem Liberalismus und Konservatismus. Der Begriff war nie eindeutig definiert, und umfasst von Parlamentarismus und Demokratie akzeptierenden… …   Deutsch Wikipedia

  • Sozialist — Der Sozialismus ist eine der im 19. Jahrhundert entstandenen drei großen politischen Ideologien neben dem Liberalismus und Konservatismus. Der Begriff war nie eindeutig definiert, und umfasst von Parlamentarismus und Demokratie akzeptierenden… …   Deutsch Wikipedia

  • Sozialisten — Der Sozialismus ist eine der im 19. Jahrhundert entstandenen drei großen politischen Ideologien neben dem Liberalismus und Konservatismus. Der Begriff war nie eindeutig definiert, und umfasst von Parlamentarismus und Demokratie akzeptierenden… …   Deutsch Wikipedia

  • Sozialistisch — Der Sozialismus ist eine der im 19. Jahrhundert entstandenen drei großen politischen Ideologien neben dem Liberalismus und Konservatismus. Der Begriff war nie eindeutig definiert, und umfasst von Parlamentarismus und Demokratie akzeptierenden… …   Deutsch Wikipedia

  • Bund der Gerechten — Der Bund der Gerechten, als Selbstbezeichnung auch Bund der Gerechtigkeit genannt, war ein Vorläufer und die Keimzelle der späteren sozialistischen und kommunistischen Parteien Europas und der Welt. 1836 ging er auf Initiative des… …   Deutsch Wikipedia

  • Mutter Courage und ihre Kinder — Daten des Dramas Titel: Mutter Courage und ihre Kinder Gattung: Episches Theater Originalsprache: Deutsch Autor: Bertolt Brecht …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”